Zwickau.- Der Thesenanschlag Martin Luthers im Jahr 1517 bildete den Auftakt zur Reformation, einem Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung. 500 Jahre später wird das Reformationsjubiläum in ganz Deutschland und darüber hinaus gefeiert. Auch in Zwickau, der zweiten Stadt nach Wittenberg, in der sich die Reformation vollständig durchsetzte, sind im kommenden Jahr Konzerte, die Sonderausstellung „Erneuerung & Eigensinn“ oder der europäische Stationenweg zu erleben. Die viertgrößte Stadt Sachsens, seit April 2016 „Reformationsstadt Europas“, bietet ohnehin den Besuchern eine Reihe von Möglichkeiten für Entdeckungen – beispielsweise auf dem Lutherrundweg. Dieser führt unter anderem vorbei an der im 13. Jahrhundert erstmals erwähnten Katharinenkirche, an der Thomas Müntzer predigte und die seit 2014 das europäische Kulturerbe-Siegel trägt.
Die Bürgerreformation in Zwickau
Um 1500 gehörte Zwickau zu den bedeutenden Wirtschaftszentren. Handel, Handwerk und insbesondere der Silberbergbau im Erzgebirge führten zu Bevölkerungswachstum und Wohlstand, einer zusehends selbstbewussten Bürgerschaft, aber auch zu sozialen Spannungen. Die Impulse, die von Luthers Thesenanschlag 1517 in Wittenberg ausgingen, trafen daher auch den Nerv der Zwickauer.
Während dieser Zeit trug in der Stadt an der Mulde ein humanistisch geprägter Rat Verantwortung. Bürgermeister und Ratsherr Johannes Stüler, genannt Erasmus Stella, wurde zum Fürsprecher Müntzers. Den späteren Bürgermeister Hermann Mühlpfort verband eine enge Freundschaft mit Martin Luther, der dem Zwickauer die Schrift „Von der Freyheyt eines Christenmenschen“ widmete. Schon 1517 wirkten erste Prediger in Zwickau, die Veränderungen in der Kirche anmahnten, von 1520 bis 1521 war Thomas Müntzer zunächst an der Marien-, dann an der Katharinenkirche tätig. Religiöse und soziale Spannungen überlagerten sich in der Folge zunehmend. Besonders gefährlich wurde die Lage durch das Auftreten der Zwickauer Propheten um Nikolas Storch. Müntzer wurde wegen seiner radikalen Ansichten entlassen, die Unruhen blieben. Luther selbst rief zwischen dem 30. April und 2. Mai 1522 die Bevölkerung zu Ruhe und Ordnung auf. Allein zu seiner Predigt vom Rathaus aus sollen 14.000 Menschen gekommen sein.
1521 wurde mit Nikolaus Hausmann der erste evangelische Pfarrer – ab 1529 erster evangelischer Superintendent – eingesetzt, 1524 die erste Messe in Deutsch gelesen und ab 1525 alle Gottesdienste in deutscher Sprache gehalten. Die Klöster wurden geschlossen und die Mönche der Stadt verwiesen. Damit war Zwickau nach Wittenberg die zweite Stadt weltweit, in der sich die Reformation durchgesetzt hatte.
Auf den Spuren der Reformation
In der „Reformationsstadt Europas“ kann man noch heute auf den Spuren dieses weltgeschichtlichen Ereignisses wandeln. An den insgesamt 16 Stationen des Lutherweges erhalten Einwohner und Gäste Informationen zur Reformation in der Stadt sowie zu den jeweiligen Örtlichkeiten und den teilweise erhaltenen, teilweise nicht mehr vorhandenen Gebäude. Eingebunden sind beispielsweise die Marienkirche, seit 1935 Dom St. Marien, oder die Priesterhäuser, die teilweise auf das 13. Jahrhundert zurückgehen und zu den ältesten erhaltenen Wohnhausensembles Europas gehören. Hier wohnten vor der Reformation Pfarrer und Prediger, heute beherbergen sie das stadtgeschichtliche Museum. Ein eigener Ausstellungsteil ist der Reformation in Zwickau gewidmet. Ebenfalls einen Besuch wert sind das Rathaus am Hauptmarkt oder das Renaissanceschloss Osterstein, wo Luther am 2. Mai 1522 predigte. Zu den Höhepunkten des Zwickauer Lutherweges zählt zweifelsohne die Katharinenkirche. Erstmals 1219 erwähnt, war sie zunächst Kloster-, Burg-, Schloss- und später Stadtkirche. Ihre heutige Baugestalt wird vom Umbau zur spätgotischen Hallenkirche im 15. Jahrhundert geprägt. Bemerkenswert sind insbesondere der Altar aus der Werkstatt L. Cranachs d. Ä. von 1518 oder die einzige erhaltene historische Läuteglocke von 1482 sowie das „Tuchmacherglöckchen“ am Hauptturm. Seit Mai 2014 trägt sie offiziell das europäische Kulturerbe-Siegel „Stätte der Reformation“.
Zwickau liegt außerdem am sächsischen Lutherweg. Dieser erstreckt sich als Teil des Mitteldeutschen Lutherweges auf rund 550 Kilometern und verbindet 27 Städte und Gemeinden, zu denen zum Beispiel Grimma, Leipzig oder Torgau gehören.
Konzerte, Sonderausstellung und Stationenweg zum Reformationsjubiläum
Dem Reformationsjubiläum ist bereits am 1. Januar 2017 das traditionelle Neujahrskonzert im Robert-Schumann-Haus gewidmet. Grundlage sind Flugblätter und andere Drucke aus dem Bestand der Zwickauer Ratsschulbibliothek, in denen damals oft bekannte Volkslieder zu päpstlichen Spottliedern umgetextet wurden. Nur zum Teil sind sie mit Noten versehen, oft galt es, die zugehörige Musik erst ausfindig zu machen. Das Notenmaterial zu den Texten beispielsweise von Martin Luther, Johann Friedrich Petsch, Justus Jonas und Hans Witzstat erstellte der Leiter des Schumann-Hauses, Dr. Thomas Synofzik. Gemeinsam mit dem Leipziger Tenor Andreas Fischer und dem Essener Flötenvirtuose Dominik Schneider gestaltet er das um 16 Uhr beginnende Konzert, das unter dem Titel „Nun treiben wir den Bapst heraus“ steht.
Vom 18. Februar an steht Zwickaus Weg durch die Reformation im Mittelpunkt einer Sonderausstellung in den KUNSTSAMMLUNGEN. In „Erneuerung & Eigensinn“ werden bedeutende Archivalien, bibliophile Schriften und Drucke, Kunstwerke und Objekte aus der Ratsschulbibliothek, dem Stadtarchiv und den Zwickauer Museen zusammengeführt und präsentiert. Anschaulich aufgearbeitete Themenbereiche ermöglichen einen abwechslungsreichen Rundgang durch diesen bedeutenden Abschnitt der Zwickauer Stadtgeschichte – von der Ausgangslage um 1500, über Luthers und Müntzers Wirken, die Umsetzung der Reformation, zum Bruch mit Luther und bis zu den Reformationsjubiläen. Zu sehen ist die Ausstellung bis 28. Mai.
Stadtarchiv und Ratsschulbibliothek sind ohnehin Bewahrer von Schätzen der Reformationszeit. Die Bestände des Stadtarchivs reichen bis ins 13. Jahrhundert zurück. Von den Dokumenten der Reformationszeit erwähnenswert sind unter anderem die Ratsprotokolle, die ab 1510 überliefert sind, die Gehaltsquittungen Thomas Müntzers, Briefe von Martin Luther, Philipp Melanchthon und anderen Reformatoren an den Zwickauer Rat sowie Schriften von Nikolaus Hausmann. Mit ihrer Ersterwähnung im Jahre 1498 ist die Ratsschulbibliothek die älteste wissenschaftliche und öffentliche Bibliothek Sachsens. Sie besitzt eine der wichtigsten Sammlungen zur Reformationsgeschichte in Deutschland und Europa, unter anderem mit Briefen und Drucken von Martin Luther, Philipp Melanchthon, Georgius Agricola, Justus Jonas, Johannes Bugenhagen und Silvius Egranus.
Am 16. Mai macht schließlich der Truck des Europäischen Stadtionenweges Halt in Zwickau. Das Projekt ist eine Initiative des Vereins Reformation 2017 e.V. Der Truck, der im Inneren eine multimediale Veranstaltungsfläche bietet und mit dem „Geschichten“ gesammelt werden, tourt von November 2016 bis Mai 2017 durch insgesamt 19 europäische Staaten und besucht Städte, die alle mittel- und unmittelbar mit der Reformation vor 500 Jahren in Verbindung stehen. Zu diesen gehören beispielsweise Genf, Wien, Worms, Zürich, Rom, Speyer, Augsburg oder Torgau. Das Ziel ist Wittenberg.
Nach der offiziellen Eröffnung auf dem Zwickauer Hauptmarkt haben alle Besucher die Möglichkeit, sich in die Welt der unterschiedlichsten Geschichten der verschiedenen Stationen zu stürzen. Zu sehen gibt es Filme, Fotos und schriftliche Beiträge rund um das Thema Reformation in Europa. Dabei beschränken sich die Themen nicht ausschließlich auf die historischen Geschehnisse vor 500 Jahren. Vielmehr geht es darum, die Botschaft der Erneuerung und Veränderung auch auf das heute zu münzen. Als Rahmenprogramm sind u.a. die Aufführung des Musicals „Mönsch Martin“ im Dom St. Marien sowie ein Vortrag von Gundolf Schmidt über seine Radrundreise auf dem Sächsischen Lutherweg im Bürgersaal des Rathauses geplant. Im Vorfeld dieses Termins veranstalten das städtische Kulturamt und die Kirchgemeinden einen Geschichten- und Ideenwettbewerb, der unter dem Motto „Helden sind nicht Einzelne“ steht.
„Luther in Zwigge“ gibt es schließlich am 31. Oktober im Konzert- und Ballhaus „Neue Welt“ zu erleben. Das gemeinsame Projekt von Kindern und Jugendlichen der Region sowie professionellen Theaterschaffenden hat Luthers Besuch in Zwickau im Jahre 1522 zur Grundlage. Erarbeitet wurde es durch den Schulmusiker Ulf Firke und seinen Kollegen Holger Wettstein, derzeit beide Lehrer am Sandberggymnasium Wilkau-Haßlau.
In dem 90-minütigen Renaissance-Spektakel mit Bänkelballaden, Chorälen und Tischreden wird Martin Luther zur zentralen Figur mit Anklängen an die Jetztzeit einem breiten Publikum präsentiert. Zentraler Gegenstand ist neben dem Zeitkolorit und historischer Kulisse Luthers Schrift “Von der Freiheit eines Christenmenschen“, die im Konflikt mit den sozialrevolutionären Predigten Müntzers und seiner Auseinandersetzung mit der Theologie seiner Zeit aktuelle Brisanz bekommt und über rein regionale Bezüge hinaus in weltanschaulich-philosophischen Fragen und sogar aktuellem Zeitgeist Bedeutung erhält. Kinder und Jugendliche werden dabei von passiven Rezipienten von Geschichte zu Akteuren auf der Bühne, lernen bei dieser Gelegenheit ein Sitten- und Zeitgemälde der Renaissance kennen und wissen Martin Luthers Rolle als Erneuerer der Kultur und Religion und als Theologen von Weltgeltung zu schätzen.
Quelle und Fotos: Stadtverwaltung Zwickau