Lichtenstein/Rodewisch.- Es ist der Alptraum schlechthin. Sie werden eines Verbrechens beschuldigt, das Sie nicht begangen haben, und keiner glaubt Ihnen. Im Gegenteil: das Gericht verlässt sich auf die Aussage eines einzelnen Gutachters und verurteilt Sie daraufhin zu lebenslanger Freiheitsstrafe mit Sicherungsverwahrung. Klingt absurd? Na dann lesen Sie mal weiter…
Ein Beispiel aus Rodewisch zeigt, wie schnell jemand in die Fänge der Justiz geraten kann und sich kurze Zeit später in der Forensischen Psychiatrie wiederfindet. Olaf Fanghänel (Foto) war Sozialarbeiter in Lichtenstein. Er hatte beruflich mit Kindern und Jugendlichen in seiner Heimatstadt zu tun. Beim Spielen traf ein Stein, den der Betreuer einem achtjährigen Mädchen zuwarf, dieses am Fuß. Die Verletzung war gering, doch die Mutter erstattete Strafanzeige. Gleichzeitig kam das Gerücht auf, Fanghänel würde sich für das achtjährige Mädchen interessieren, hätte ihr sogar einen Heiratsantrag gemacht. Der Fall wurde von der Boulevardpresse aufgegriffen und ausgeschlachtet. Es kam zur Gerichtsverhandlung. Unter anderen Umständen hätte das Verfahren mit einer Geld- bzw. Bewährungsstrafe ausgehen können. Aufgrund eines Psychiatrischen Gutachtens landete der Beschuldigte jedoch in der geschlossenen Psychiatrie. Grundlage dafür ist der in Fachkreisen sehr umstrittene §63 StGB. Das bedeutet im schlimmsten Fall lebenslange Sicherungsverwahrung ohne Aussicht auf Entlassung.
Es kann praktisch jeden treffen. Der Fall Gustl Mollath hat auf eindrucksvolle Weise gezeigt, wie die Justiz in Deutschland tickt. Der Sachverhalt kann noch so konstruiert und an den Haaren herbei gezogen sein. Sobald ein Gutachter seine Meinung über einen Angeklagten bei Gericht vorgetragen hat, sind die Messen gelesen. Die meisten Richter verlassen sich darauf blind. Wohl auch deshalb, weil sie selbst keinerlei Kenntnis über die Zusammenhänge in der Psychiatrie und auch keine psychologische Ausbildung haben. Aus diesem Grund ist man als Beschuldigter in einem Strafverfahren meist der Meinung eines einzelnen Gutachters ausgeliefert. Auch der beste Rechtsanwalt kann jetzt nicht mehr helfen.
Olaf Fanghänel kam 2005 in die Forensischen Psychiatrie nach Rodewisch. Hier wurde er als Kinderschänder geführt und auch so behandelt. Da er sich vehement gegen die vom Klinikpersonal verordnete Zwangsmedikation wehrte, verschlechterte sich seine Gesamtsituation immer weiter. Bereits während seiner Inhaftierung berichtete er seiner Mutter, die zur gerichtlichen Betreuerin bestellt war, immer wieder von massiven Übergriffen seitens des Pflegepersonals. 2015 eskalierte eine Situation so sehr, dass die Polizei und ein Notarzt gerufen werden mussten. Die Staatsanwaltschaft ermittelte damals wegen Misshandlung Schutzbefohlener. Artikel in der Westsächsischen Zeitung
Seit dem 10. August 2017 ist Olaf Fanghänel wieder frei. Nach 13 qualvollen Jahren in psychiatrischer Gefangenschaft ist er jetzt dazu in der Lage, über das Erlebte zu berichten. Einen ersten Eindruck vermittelt ein Video, das ohne Kommentar die Aussagen mehrerer Betroffener wiedergibt: Westsächsisches Fernsehen
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